James Bond und Harry Potter sahen an schwedischen Kinokassen schlecht dagegen aus und international spielt der Thriller satte 100 Millionen US-Dollar ein – noch vor dem offiziellen Kinostart in den USA: „Verblendung“ ist Niels Arden Oplevs fünfter Film-Streich. Die Handlung bastiert auf dem Roman „Männer, die Frauen hassen“ von Stieg Larsson – dem ersten Buch der sog. Millennium-Trilogie des schwedischen Autors. Mittlerweile läuft der Film auch in den Vereinigten Staaten, nachdem er beim 27. Miami-Film-Festival Preise abgeräumt hatte.
Wir treffen uns im Kultur- und Kunstzentrum CC Andratx, während Niels‘ wohlverdientem Urlaubsaufenthalt im Beisein seiner Familie. Im gemütlichen Café der Galerie berichtet der dänische Bauernsohn von seiner Kindheit in Nord-Jütland: „Das ist eigentlich kein typischer Herkunftsort von Filmregisseuren.“ Bis er 11 Jahre alt war, hatte die Familie zu Hause nicht einmal einen Fernsehapparat. Ein Ausflug ins Kino hatte etwas Bezauberndes: „Jedesmal, wenn meine Eltern am Mittwoch ankündigten, dass wir am Freitag ins Kino gehen würden, konnte ich zwei Nächte lang vor Aufregung nicht schlafen.
Er sah zuerst Filme von Ingmar Bergman und Carl Theodor Dreyer – dem einflussreichen skandinavischen Regisseur, der von der Stummfilmzeit bis in die 60er Jahre ununterbrochen drehte. Sein Schwarz-Wei?-Kunstwerk „Die Passion der Jungfrau von Orleans“ gilt als Meilenstein der Filmgeschichte.
Niels glaubt, dass der Film, trotz der modernen Reizüberflutung durch Medien aller Art, ein mächtiges Instrument des Geschichtenerzählens bleibt: „Ein Film trifft uns unmittelbar als Sammelsurium von Kunstelementen, zusammengeschnürt zu einem Erlebnis-Paket. Er kann uns emotional mitrei?en und wir haben die Chance, uns mit Personen der Handlung zu identifizieren, die ein völlig anderes Leben führen als wir selbst.“Niels Arden ist Absolvent der angesehenen staatlichen dänischen Filmakademie. Vier Jahre lang konnte er dort von den „enormen Ressourcen“ des Instituts profitieren. Einmal durfte er bei Dreharbeiten mit Max von Sydow in Kopenhagen hospitieren.
“Alle Filmstudenten glauben, dass die ganze Welt mit ihrem schöpferischen Talent beglückt werden muss“, erklärt der jugendlich aussehende 48-Jährige lachend. „Ich war immer ganz nah an Max dran, konnte ihm sogar hier und da ein paar Anweisungen geben. Er nahm das alles gelassen hin und schlie?lich fragte ich ihn, ob er nicht in meinem Abschlussfilm fürs Diplom auftreten wolle. Er blieb 11 Tage lang beim Dreh in Kopenhagen, für gerade einmal 100 Dollar am Tag, plus Unterkunft und Spesen.“
An der Filmakademie bekam Niels das Rüstzeug: „Ich war überehrgeizig und wollte alle meine Kenntnisse gleichzeitig anwenden. Beim Dreh konnte ich Max die drei Vorläufer-Generationen seiner Rollenfigur herunterbeten – bis er mich freundlich darauf hinwies, dass er das alles gar nicht brauche. Es ist so ähnlich wie mit Sex – irgendwann labert man das Thema zu Tode.“ Der Schwede Von Sydow brachte ihm bei, genauso auf seine Instinkte zu vertrauen wie auf sein Handwerkszeug.
Seine Abschlussarbeit gewann mehrere Preise, darunter den Special Award beim Schul-Film-Festival in Mexiko. Das Werk wurde in der Kategorie Bester Film in Montreal nominiert und heimste in Los Angeles gar einen Junior-Oscar ein.
Im Januar 2009 regnete es wieder Auszeichnungen für Niels: Bei den schwedischen Guldbagge-Filmpreisen gewann „Verblendung“ in den Kategorien „Bester Film des Jahres“ und „Zuschauer-Bewertung“. Darstellerin Noomi Rapace gewann den Preis für die weibliche Hauptrolle. Kein schlechtes Ergebnis für einen Streifen, der mit einem Budget von 6,5 Millionen US-Dollar gedreht wurde und nicht mit 50 oder 60 Millionen, wie in Hollywood üblich.
Niels kannte die Bücher von Stieg Larsson zu dem Zeitpunkt noch gar nicht, als die Produktionsfirma Yellow Bird an ihn herantrat. Als die Anfrage kam, drehte er gerade seinen vierten Film „World’s Apart“ über das Leben der Zeugen Jehovas im modernen Skandinavien. „Schweden hat einen riesigen Markt an Thrillern, die im Fernsehen gut ankommen, aber im Kino floppen“, erklärt er. „Ich hatte damals kein Interesse, in Schweden einen Fernsehfilm zu machen, und deshalb sagte ich, ich hätte keine Zeit.“ Sechs Monate später fragten die gleichen Leute noch einmal an. Bei der Entscheidungsfindung half schlie?lich ein Gespräch mit der Nachbarin: „Ich sagte ihr, dass die schwedischen Produzenten mich nicht in Ruhe lie?en mit diesem Stieg Larsson.“ Die Frau grinste vielsagend und berichtete ihm, sie habe gerade das Buch zur Story gelesen und es sei fabelhaft. Niels las es selbst und stimmte dann zu.
Er rief die Produzenten an und sagte, dass dieser Stoff „ganz anders ist als ein typischer schwedischer Krimi, mit viel mehr Kraft und Entwicklungsdrang.“ Aber das Drehbuch war schlecht: “Ich hab sie sogar gefragt, ob sie sicher seien, dass es auf dem Buch basiert, denn alles, was ich darin geliebt hatte, war rausgestrichen worden.“
Niels war klar, dass der Film trotz des niedrigen Budgets auf das Niveau von „Schweigen der Lämmer“ und „Nikita“ gehoben werden musste, um international konkurrenzfähig zu sein.
Seine vorherigen Filme und TV-Serien wie „Unit One“ oder der Emmy-Gewinner „The Eagle“ begründeten seinen Ruf als Sparfuchs unter den Regisseuren. Da nun das erste Drehbuch „im Mülleimer landen musste“, bestand Niels auf der Verpflichtung von skandinavischen Spitzen-Drehbuchautoren für Krimi-Dramen. In der Dramatik liege „der Schlüssel zu Larssons Gedankenwelt“ und die Möglichkeit, Drehbuch, Casting und Projektarbeit zu strukturieren. Au?erdem sollte der Film 2,5 Stunden Laufzeit haben und nicht 90 Minuten, wie ursprünglich geplant.
„Ich teilte ihnen mit, dass sie mir eine ordentliche Gage zahlen müssten und dass ich über den Filmschnitt bestimmte. Sollten sie mir die vollständige künstlerische Freiheit nicht einräumen, so riet ich ihnen, es mit jemand anderem zu versuchen. Sie erklärten sich mit allem einverstanden – und sollten es bitter bereuen!“ Dazu lacht Niels Arden schallend und zwinkert in unsere Richtung.
Der Riesenerfolg des Films hat eine interessante und zugleich merkwürdige Situation heraufbeschworen: „Wenn ich jetzt einen dänischen Film drehe, der 250,000 Kinobesucher anlockt – was eigentlich richtig gut wäre – dann wäre die neue Produktion im Vergleich mit der vorherigen ein katastrophaler Flop.“
Schon seit längerem plant er, einen Film in englischer Sprache zu drehen. Seit zwei Jahren hat er Vermarkter in London, New York und Los Angeles. Seine Frau Florence ist US-Amerikanerin und deshalb verbringen die beiden ohnehin viel Zeit in New Jersey. Niels: „Ich will demnächst grö?ere europäische Produktionen machen, abwechselnd mit kleineren dänischen Filmen. So sieht mein Traum-Szenario aus. Das ist meine Vision.”
An Mallorca liebt er die natürliche Schönheit, die Strände und die Berge und das leckere Essen. Wenn man von Skandinavien hierher komme, sei „das Wetter geradezu fantastisch“. Er hofft, bald erfolgreich genug zu sein, „um sich hier ein Haus kaufen zu können. Und wie wäre es mit einem Dreh auf der Insel? „Meine Filme leben von der melancholischen, nordischen Dunkelheit, von schlechtem Benehmen bzw. einschnürender Beklemmtheit“, erwidert er, „und das Leben auf der Insel scheint mir das genaue Gegenteil davon zu sein. Dreharbeiten hier kann ich mir also schlecht vorstellen. Aber Urlaub machen, hier leben und schreiben – das sehr wohl.“