Im Gespräch mit Tolo Cardell

Wenn er in der Fabrikhalle seine tägliche Inspektionsrunde dreht, unterhält er sich auffällig lange mit den Arbeiterinnen. Seine Leidenschaft für das andere Geschlecht geht so weit, dass 90 Prozent seiner Belegschaft weiblich ist. Lediglich der harte Kern der Schuster besteht aus Männern. Die internationalen Verkaufsrepräsentanten sind alle Frauen. Cardell: „Sie bringen mir mehr Aufträge als Männer, arbeiten gewissenhafter und verhandeln zäher.“ Nicht zufällig werden 70 Prozent aller Boots mittlerweile an Frauen verkauft – die männlichen „Cowboys“ kommen auf schlappe 30 Prozent.

Das Gebäude von Tolo Cardells Firma sieht nicht wie die Zentrale eines Vorzeige-Unternehmens der Insel aus. Wenn man auf der Carretera de Alaró in Richtung des pittoresken Bergdorfs fährt, muss man genau aufpassen, um die Einfahrt zum Tony Mora Factory Store bei Km 4,19 nicht zu verpassen. Wie getarnt schimmert der Schriftzug durch eine Palmen-Gruppe. Die weiβ getünchte Fassade hat den Charme des Vampir-Motels aus dem Film „From Dusk Till Dawn“. Beeindruckende Optik, Hostessen, Lichtreklame: Fehlanzeige. Lediglich die Aufschrift „Tony Mora Apache Cowboy S.L.“ verrät, dass man sich nicht verfahren hat. Im Eingangsbereich steht ein weinrotes Kuschel-Sofa aus Omas Zeiten. Im Büro rechts kümmert sich niemand um Ankömmlinge. Einen Empfang gibt es nicht. Die Türe links zum Shop klingelt beim Öffnen wie der Eingang eines Tante-Emma-Ladens.

Drinnen angelangt sieht man als Appetizer traumhaft schöne Lederstiefel in Glaskästen und auf Regalen stehen. Es kann ein paar Minuten dauern, bis Verkaufsleiter Tolo Salom sich hierher bequemt. Man kann sich in Ruhe umsehen, die Schuhe befühlen und an ihnen riechen. Wer will, öffnet selbst die Hintertür und erkundet auf eigene Faust die Produktionsräume. Cardell: „Transparenz ist unser Prinzip. Es ist ausdrücklich erwünscht, dass die Kunden sehen, wie wir die Schuhe machen.“

Jeder Einkäufer – Cardell: „Die suchen wir uns selbst aus und prüfen, ob sie zu unserem Image passen“ – muss die Ware vorab bezahlen. Lagerware wird nicht produziert. „Das minimiert das unternehmerische Risiko“, weiβ Cardell.

Der Geschäftsführer pfeift auf Luxus und Glitzer: „Das Produkt zählt. Wir brauchen keine Paläste. Wer hierher kommt, weiβ genau, warum.“ Alles rund um Tony Mora ist hemdsärmliges mallorquinisches Understatement. Der Factory Shop ist der einzige Ort auf Mallorca, an dem man die berühmten Boots bekommt. Örtliche Edel-Boutiquen werden ausdrücklich nicht beliefert. Cardell setzt dagegen voll auf den Online-Verkauf („Tienda Virtual“) und das Export-Geschäft. Stark vertreten ist die Marke in den Benelux-Ländern, mit einem eigenen Shop in Almere (Niederlande). Beliefert werden Händler in der ganzen Welt, traditionell viele britische und deutsche, aber z.B. auch die brasilianische Luxus-Kette Daslu. Das Kontingent ist begrenzt. Nicht mehr als 50.000 neue Paare jährlich verlassen die Fabrik in Alaró.

Den besten Service bekommt man, wenn man nach Alaró fährt und selbst in die Cowboystiefel schlüpft. Nur so kann man sicher sein, welches Modell wie eine zweite Haut passt.

Der Kunde bekommt, was er will: Adlerflügel statt einem Schlagen-Muster, rote Farbstreifen statt schwarzen, höhere oder niedrigere Absätze – oder ganz neue Stiefel nach individuellen Vorstellungen. Die Preise bewegen sich zwischen 200 und 2.300 Euro für ein Krokodilsleder-Stiefelpaar der Extraklasse. 40 Prozent aller von Tony Mora verkauften Schuhe sind „Custom Boots“, also Auftragsfertigungen, die per Luftpost an die Heimatadresse der Kunden verschickt werden. Circa 1,5 Monate muss sich der Käufer – der den Gesamtbetrag vorab entrichtet – nach der Bestellung gedulden.

Der Produktionsprozess rechtfertigt den Preis. Das Gros der Arbeiter ist seit über 25 Jahren in der Firma; viele Maschinen und das Know How sind seit beinahe 80 Jahren unverändert. Verlässt ein altgedienter Schuster den Betrieb, muss er seinen Nachfolger ein Jahr lang einarbeiten. Jedes Stiefel-Paar wird in 100 einzelnen Handarbeits-Schritten gefertigt. Moderne Leder-Schnitt-Maschinen machen die Puzzleteile der Boots noch passgenauer. Die Sohlen entstehen streng nach dem Goodyear-Verfahren, werden doppelt vernäht, geklammert und mit hochwertigen Kork-Kugeln gestopft. Tolo Salom: „Selbst wenn die äuβere Naht nach vielen Jahren abgewetzt ist, hält die Sohle dank der inneren Naht immer noch bombenfest.“ Das entscheidende Qualitätsmerkmal von Tony Mora ist die Kombination einer separaten Leder-Innen- und Auβenhaut. Diese Technik lässt den Fuβ natürlich atmen wie in kaum einem anderen Schuh. Im Hochsommer bleiben die Füβe im Stiefel kühl, im Winter absorbiert das Innenleder die Körperwärme und gibt sie an die Füβe zurück.

Das extravagante Design und exotische Materialien erzeugen Macho-Gefühle: Leder von Vogel Strauβ, Python, Leguan, Krokodil. Cardell hat seine Haupt-Einkaufsquellen in Indonesien, Kambodscha und Vietnam. „Wir haben CITES-Zertifikate, dass das Leder von artgerecht behandelten Zuchttieren aus Reptil-Farmen stammt.“ Die Innenhaut der Cowboystiefel ist dagegen aus gutem altem Rindsleder.

Sind die Tony-Mora-Stiefel tatsächlich die besten der Welt? Tolo Cardell: „Ich denke, dass wir im Bereich ´Cowboy Mode´ führend sind. Andere Hersteller decken andere Felder ab, wie Rodeo- und Bikerstiefel.“

Die Krise ist für Tony Mora „zero“, betont Tolo Cardell. Der stämmige Mann beugt sich lächelnd nach vorne, wobei eine markige Goldkette aus seinem aufgeknöpften weiβen Hemd lugt: „2009 ist unser Rekordjahr. Diejenigen, die vorher ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, stecken jetzt in der Krise.“ Die einst so stolze mallorquinische Schuhindustrie hat seiner Meinung nach zwei entscheidende Fehler begangen: Zu groβe Abhängigkeit vom Verkauf durch das Kaufhaus ´Corte Inglés´ und Vernachlässigung der eigenen Verkaufsförderung. Cardell: „Die Qualität der Herstellung ist eine Sache. Aber meine Mission ist es, Tony Mora auf internationalen Marktplätzen und Modenschauen zu präsentieren. Dadurch haben wir einen breiten Fächer von potenziellen Abnehmern.“

Den Namensgeber „Antonio Mora“ gibt es wirklich. Er ist ein mallorquinischer Schuhmacher, der heute knapp 80 Jahre alt ist. Er begann, mit Cowboystiefeln zu handeln, die sein Vater auf Mallorca experimentell produzierte. Das Produkt kam gut an, ein Familienbetrieb entstand, dem sich Tolo Cardell 1988 anschloss. Ursprünglich hatten amerikanische Besucher die mallorquinischen Schuster in die Geheimnisse der Cowboystiefel eingeweiht. Heute zeigen ihnen die Mallorquiner, wo es langgeht mit den „Vaqueros“.

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Tony Mora

Alaró, Santany & Artà