Jeder, der schon mal mit Pferden zu tun hatte, kennt den ganz besonderen Ledergeruch vom Sattel- und Zaumzeug. Genau der zog Sarah Rennison immer wieder in die Sattlerwerkstatt eines Freundes in Santa Catalina, wo sie ein paar stille Momente verbrachte. Sobald sie dort den Duft der alten Sättel und Zügel einatmete, fühlte sie sich in frühere Zeiten in Wales zurückversetzt – es war der Duft ihrer Kindheit.
Auf der Reise von ihrem ländlichen Geburtsort bis nach Mallorca hat Rennison viel erlebt. Immer auf der Suche nach Abenteuern, nahm sie nach ihrem Fotografie–Studium in London und diversen Jobs in der Mode-, Werbe– und Musikbranche in London und New York das Angebot an, bei einem Segeltörn über den Atlantik mitzumachen. Die Endstation hieß Mallorca – und der Rest ist Geschichte.
Sieht man sich die Taschen aus der Kollektion von Reclaim Mallorca genauer an, so erkennt man die markanten Initialen R.E., die apart in den Stoff eingewoben sind. Die beiden Buchstaben stehen für die Leidenschaft der Gründerin für eine Neudefinition des modernen Luxus nach dem Motto:
Reparieren, Restaurieren und Recyceln sowie Wiederverwenden Wiederherstellen und Wiedergewinnen.
Die Marke ist lokal, nachhaltig und völlig im Einklang mit dem aktuellen Zeitgeist für ethisch vertretbare Eleganz. Das Unternehmen beschäftigt geschickte Handwerker aus der Gegend, bekennt sich mit Taschennamen wie ‚Sóller‘, ‚Deià‘ und ‚Orient‘ zur Schönheit der Insel und vertritt insofern eine zutiefst nährende Philosophie.
Entstanden ist es allerdings erst durch zwingende Umstände, als Rennison einen Ausweg aus ihrer persönlichen Notlage und der ihres Sattlerfreundes Pep finden musste.
Nachdem sie im Bereich Marketing und Kommunikation sowie im „schnelllebigen und spannenden, aber zeitweise auch extrem stressigen“ Yacht-Concierge-Sektor gearbeitet hatte, sehnte sich Rennison nach einer gewissen Einfachheit zurück. Unerschrocken wie sie ist, verließ sie Mallorca in Richtung Vietnam, um dort ehrenamtlich als Leiterin eines Ökotourismusprojektes zu arbeiten. Allerdings zwang sie vier Monate später eine Krankheit dazu, für eine längere medizinische Behandlung zurückzukehren.
„Also musste ich hier ein Projekt finden, das zu meiner Vision von ökologische Nachhaltigkeit passte“, erklärt sie.
Zu jener Zeit (2009) lebte Rennison im Stadtteil Santa Catalina in Palma. Doch weil sie in ihrem Herzen und ihrer Seele auf ewig mit Wales verbunden ist, saß sie immer, wenn sie das Heimweh überkam, in der vertrauten Umgebung der Werkstatt. Und bei einem dieser Besuche fand sie ihren Freund – den mallorquinischen Sattler Pep Roig – sehr bedrückt vor.
Spanien steckte gerade mitten in einer wirtschaftlichen Rezession, unter der das Geschäft litt, und Pep rang mit der Entscheidung, sein geliebtes Pferd Roig zu verkaufen, das er schon als Fohlen bekommen und aufgezogen hatte.
„Das durfte ich nicht zulassen. Mir war klar, dass ich eine Lösung finden musste“, so Rennison. Als sie in jener Nacht an all das Sattel- und Zaumzeug dachte, das überall in der Werkstatt herumlag, kam ihr eine Idee. „Wenn ich aus meiner Vorliebe für alte Stoffe und seinem ganzen Sattel- und Zaumzeug ganz besondere und einzigartige Taschen machen und sie als Marke etablieren könnte, dann wäre meine persönliche Mission erfüllt und Pep müsste sich vielleicht nicht von Roig trennen.”
Damit war Reclaim Mallorca geboren – und Pep konnte sein Pferd behalten. Das Reclaim-Team aus sechs Mitarbeitern verschiedener Nationalitäten arbeitet in einem Studio mit angeschlossener Fertigungsstätte in Inca. Es macht sich die Schönheit upgecycelter Stoffe, überschüssig produzierten italienischen Kaschmirs und restaurierten Leders – das von dem Zaumzeug und den Sätteln von Rennpferden und Polo-Ponys stammt – zunutze, um die absolut einmaligen Taschen-Unikate herzustellen.
Eines fällt allerdings auf, wenn man – ganz hingerissen von den exquisiten Kreationen – den Online-Store des Labels durchstöbert: die meisten Taschen sind verkauft. Das liegt daran, dass mehrere internationale Händler sie aufgekauft haben und überhaupt die ganze Fashion Community verrückt nach ihnen ist. Und wer kauft sie?
„Unsere typischen Kunden sind weit gereist, mit einem dezenten Geschmack – klassisch, aber auch gewagt, und mit einem Sinn für Spaß und Abenteuer“, so Rennison.
Aus Sehnsucht nach einer alten Erinnerung wurde ein ganz neues Kapitel aufgeschlagen.
Photo credits: Santiago Stankovic